Woran glaubst du wirklich?

Ich? Eine Domfrau? Wo ich doch gerade vor knapp zwei Jahren aus der Kirche ausgetreten bin, weil es sich nicht mehr „richtig“ angefühlt hat. Nun stehe ich hier beim Aufzug, denn genau die Fragen nach Zugang zu Glauben, Höhen und Tiefen, aber auch wohin uns unser Glaube bringt, waren für mich in den letzten Monaten elementar.
Nach meinem Kirchenaustritt hat eine Reise begonnen, Höhen und Tiefen, Auf und Ab’s, bei denen ich mich mal mehr und mal weniger von Gott entfernt habe. Im Frühling 2023 war für mich ein absoluter Meilenstein erreicht. Ich hatte meine eigene Praxis auf 200 m2 gegründet, mein erstes Buch erschien und war ein voller Erfolg und ich durfte eine Reise um die Welt machen, von der ich schon lange geträumt hatte. Obwohl scheinbar alles perfekt war, ich frei und unabhängig und erfolgreich war fühlte ich diese Leere, als ich in Indien am Straßenrand saß und die vorbeiziehen Menschen beobachtete.
„Warum bin ich nicht glücklich?“, fragte ich mich. Zuerst leise in mir drinnen. Dann schrieb ich diese Zeilen nieder und unweigerlich führten sich mich zu der Frage, der ich seit meinem Kirchenaustritt aus dem Weg gegangen war. „Warum lebe ich? Was ist mein Sinn?“
Zwischen Tempeln, Kirchen, Moscheen und Spiritualität begann ich mich wieder mit Glauben zu beschäftigen. Ich redete mit Gott. Fragte ihn, bat um Vergebung und suchte nach Antworten. Meine Selbstzweifel und Schuldgefühle waren anfangs so laut, dass ich das Gefühl hatte nichts anderes mehr hören zu können.
„Du bist geschieden, damit hast du versagt und ein heiliges Sakrament gebrochen.“
Gott, bitte vergib mir, dass ich nicht in einer Beziehung bleiben wollte, die uns beide kaputt gemacht hat.
„Deine Arbeit ist schlecht und nicht gottgefällig.“
Gott, bitte leite mich, dass ich mit meiner Arbeit als Sexualtherapeutin vielen Menschen helfen kann. Das mein Wissen nützlich ist.
„Du hast die letzten Jahre gelebt, als gäbe es kein Morgen. Warum solltest du nun eine Chance auf das Paradies bekommen?“
Gott, bitte vergib mir, dass ich so gefangen von dieser Welt und ihren Schönheiten war. Lass mich dich nie wieder vergessen.
Und nach und nach wurden die Stimmen in meinem Kopf leiser. Ich begann mich mit den verschiedenen Weltreligionen zu befassen. Ich begann mein Gottesbild zu hinterfragen und mich auf die Suche zu machen. Woran glaube ich? Nicht weil ich es so gelernt habe und alle anderen es auch so machen, sondern woran glaube ich im tiefsten Herzen. Ich begann wieder in der Bibel zu lesen, aber gleichzeitig auch in der Thora und dem Koran. Ich fand Ähnlichkeiten und Unterschiede. Ich lernte praktizierende Muslime kennen, und beobachtetet sie im Alltag. Solch gütige und milde Menschen habe ich zuvor nur sehr selten erlebt. Ich war beeindruckt von der Selbstverständlichkeit, mit der diese Menschen geben und leben. Als ich von meiner Reise zurückkehrte, war Ramadan und auch hier durfte ich Menschen dabei beobachten, wie sie diese besondere Zeit verbringen.
Am Tage des Zuckerfests hatte ich zum ersten Mal das Bedürfnis mich im Gebet niederzuwerfen. So wie die Muslime beten, aber auch so wie Jesus gebetet hat und viele vor ihm. Und da war sie – diese Ruhe. Wie wenn man unter Wasser taucht und nur leises, sanftes und dumpfes Rauschen zu hören ist. Eine Ruhe, die den Körper entspannt, die Tränen zum Fließen bringt und das Herz vor Freude überquillen lässt. Ich bin angekommen. Und obwohl ich nie geglaubt hätte, hier beim Islam zu landen, bin ich wenige Tage später ganz heimlich in meinem Schlafzimmer zum Islam konvertiert.
Seitdem ich mich dazu entschieden habe Kopftuch zu tragen, werde ich mit allerhand Vorurteilen konfrontiert. In unserer Gesellschaft „gläubig“ zu sein und auch so wahrgenommen zu werden, wird von vielen Seiten belächelt oder als „realitätsfern“, „wissenschaftsresistent“ oder schlicht weg „dumm“ abgestempelt. Mit Zuschreibungen wie „unterdrückte Frau“, „Salafistin“ oder „Ausländerin“ werde ich nun leben. Aber all das nehme ich in Kauf. Denn ein Leben ohne Gottes Nähe, ist für mich nicht mehr vorstellbar. Und darum stelle ich dir die gleiche Frage, die bei mir so vieles in Bewegung gesetzt hat: „Woran glaubst du WIRKLICH?“